Beiträge zu einer zeitgemäßen christozentrischen Theologie

Gepubliceerd in: Zeitschrift für Dialektische Theologie 55, Jahrgang 27, Nummer 2/2011.

Christozentrische Theologie, ist das noch möglich?
Ende Mai 2009 war es fünfundsiebzig Jahre her, dass in Barmen (bei
Wuppertal) die Gründungssynode der Bekennenden Kirche stattfand
und jene Theologische Erklärung angenommen wurde, die in die Ge-
schichte eingehen sollte als die Barmer Thesen. Dieses Jubiläum veran-
lasste Wolf Krötke zur Herausgabe eines Sammelbandes mit Aufsätzen
der vergangenen dreißig Jahre. Die meisten davon wurden bereits früher
publiziert, drei Beiträge sogar in der Zeitschrift für Dialektische Theologie
(ZDTh 10 (1989), ZDTh 39 (2003), ZDTh 46 (2006)). Zweifellos ist sein
Publikationsspektrum breiter, den thematischen Kern von Krötkes theo-
logischer Existenz bilden jedoch die Themen Bamen, Barth und Bon-
hoeffer. Wolf Krötke (geb. 1938) lebte die längste Zeit seines Lebens in
der DDR, studierte in Leipzig, Naumburg und Berlin und war als junger
Mann einige Zeit aufgrund seiner politischen Auffassungen inhaftiert.
Im Jahre 1967 promovierte er zu Karl Barths Sündenlehre, er war Pastor
in Görschen (Naumburg) und Studentenpastor in Halle, woraufhin er
später von 1973 bis 1991 kirchlicher Dozent für Systematische Theolo-
gie war am “Sprachenkonvikt” in Berlin. In 1976 verlieh die Universität
von Tübingen ihm ein Ehrendoktorat und in 1985 gibt er zusammen mit
Albrecht Schönherr einen Sammelband heraus mit Bonhoefferstudien
von DDR-Theologen. Nach dem Mauerfall ergibt sich für ihn die Gele-
genheit zu habilitieren und wird er Professor der Systematischen Theolo-
gie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Die ersten drei Artikel dieses Sammelbandes bilden den Kern seiner
Darlegung. In „Was bleibt theologisch von der Theologischen Erklä-
rung“ (bereits eher erschienen anlässlich des siebzigsten Jubiläums der
Barmer Thesen) weist er auf die bleibende Aktualität von Barmen hin –
auch nach dem Ende des Dritten Reichs und auch nach dem Mauerfall.
Daraufhin geht es im folgenden Artikel über Karl Barths Verständnis
der Barmer Thesen, wobei Krötke aufzeigt, dass beinahe alle Thesen der Theologischen Erklärung ausführlich ausgearbeitet werden in der Theo-
logie Karl Barths und das Barth sich auch niemals von irgendeinem Teil
davon distanziert hat. Barmen ist für Barth sein ganzes Leben lang ein
„Ruf nach vorwärts“ geblieben und zugleich die bündigste Zusammen-
fassung dessen, was er theologisch hat sagen wollen. Der dritte Artikel
lautet: „Kein zurück hinter Barmen. Die Barmer Theologische Erklärung
im Denken Dietrich Bonhoeffers“. Während für Barth die Barmer The-
sen den Kern dessen bilden, was theologisch gesagt werden muss über
Gott und die Welt und den Ort der Kirche darin, gilt für Bonhoeffer
stets die (ethische) Frage: Was bedeutet dies für das Handeln der Kirche
und des Gläubigen? Wenn man dies auf ganz simple Weise zusammen-
fassen möchte, könnte man sagen: bei Barth geht es um die Lehre und
bei Bonhoeffer um das Leben. Aber das ist natürlich zu undifferenziert,
denn wie könnten wir es wagen zu wiedersprechen, dass es Barths Über-
zeugung war, dass alles was er neu formulierte über die Lehre des Wortes
Gottes, gemeint war im Hinblick auf das Leben der Gemeinde (deshalb
endet dann auch jeder Teil der KD mit einem ethischen Teil).
Anschließend an diese drei prinzipiellen Eröffnungsartikel folgen zwei
Artikelserien, welche die Behauptung des zweiten und dritten Artikels
auf verschiedene Weise unterbauen. Zuerst zehn Artikel unter dem Mot-
to: „Mit dem Anfang anfangen“ – über die Theologie Karl Barths und
auf welche Weise die Barmer Thesen dafür von wesentlicher Bedeutung
gewesen sind; und daraufhin folgen neun weitere Artikel über Dietrich
Bonhoeffer unter dem Motto: „Christus für uns heute“. Im Rahmen die-
ser Rezension ist es nicht möglich, um zu jedem Artikel etwas zu sagen.
Aus diesem Grunde treffe ich eine Auswahl und gebe bewusst jenen Ar-
tikeln Vorrang, die noch nicht eher publiziert worden sind, sodass der
Leser vor allem darauf hingewiesen wird, was in diesem Buch Neues zu
erwarten ist.
Für mich war der am meisten ins Auge springende Artikel „Theolo-
gie und Widerstand bei Karl Barth“, da ich hierauf selbst ausführlich
eingegangen bin in meiner Dissertation (Collaboratie en onderwerping,
Gorinchem: Narratio 1991), wobei der letzte Teil über Barth den Titel
„Theologische existentie als verzetshouding?“ („Theologische Existenz als
Widerstandshaltung?“ ) erhielt. Soweit Theologie begriffen wird als „wis-
senschaftliche Reflexion“ über den Christlichen Glauben oder die Ver-
kündigung der Kirche, scheint sie weit entfernt zu liegen von politischem
Widerstand. Dies ändert sich jedoch, wenn wir über Widerstand spre-
chen im Sinne der besonderen Bedeutung, die er bekommen hat zur Zeit des Naziregimes. Trotz seiner eigenen Probleme mit der DDR-Re-gierung konstatiert Krötke ausdrücklich, dass er die Opposition dagegen
nicht als Widerstand erachtete, denn „Hier gab es eben (…) immer noch
einen – auch die Grenzen der DDR überschreitenden – Horizont des Re-
dens und Verhandelns mit ideologischen Positionen und Machtinstanzen
des Systems“ (227). Widerstand im Sinne von Widerstand gegen das Na-
ziregime war jedoch das Ende von verhandeln, diskutieren und beglei-
chen, da die nationalsozialistische Vorherrschaft dies mittels der Vernich-
tung demokratischer Strukturen selbst nicht mehr gestattete. Für Barth
ist Widerstand nicht nur eine politische, sondern auch eine theologische
Kategorie. Dies hängt für ihn zusammen mit der Gotteskenntnis, welche
in sich selbst Widerstand ist gegen alles, was religiös oder ideologisch
über sie verfügen will. Diese Ansicht ausschließlich auf den besonde-
ren Zeitabschnitt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu be-
schränken, hat als Konsequenz, so bemerkt Krötke schneidig und scharf,
dass die Zukunft der Theologie gesucht werden müsse als Weiterführung
der Theologie, die damals keinen Widerstand leistete (da Glaube und
Politik getrennt bleiben mussten) und gerade dadurch dem Geist und der
Ausübung des Nationalsozialismus‘ freien Lauf gelassen hat. Dass Barths
theologisches Treiben auf Verdeutlichung aus war – auch im Bereich der
Politik – ist zweifellos. Ist jedoch der Text der Barmer Thesen auch eine
solche Form von theologischem Widerstand? Krötke ist, weniger als der
Autor dieser Rezension, nicht sehr stark geneigt zu irgendeiner Kritik
zu Barth. Wohl stellt er fest, dass Barmen sich nicht ausspricht über die
Judenverfolgung (das hatte Barth in seinem berühmt gewordenen Brief
an Bethge in 1967 selbst auch schon bedauert), aber sieht er sich Barth
zur selben Zeit doch äußern gegen die Einführung des Arierparagraphen
in der Kirche (war es jedoch, aber das vermeldet Krötke nicht, für ihn
nicht so alles entscheidend wie zum Beispiel für Bonhoeffer). Die Erin-
nerung an die eigene Verantwortlichkeit der Untertanen (fünfte These)
impliziert, so bewährt Krötke und ich schließe mich gerne an, doch auch
aktives politisches Handeln, welches dann auch zu politischem Streit und
Widerstand führen kann.
Nicht eher publiziert wurde ein in 2008 verfasster Artikel mit dem
Titel „Der Eifer um die Ehre Gottes. Die Bedeutung des Gebetes für die
Gotteslehre Karl Barths“. ,Der Eifer um die Ehre Gottes‘ ist Barths Titel
der Auslegung der ersten Bitte des Vater Unsers (Das Christliche Leben
(GA 7), Zürich: TVZ 1976, 180-346). Die Besprechung des Vater Un-
sers (leider verfügen wir nur über die Auslegung der zwei ersten Bitten) als das vorbildliche Gebet, hätte ein wesentlicher Bestandteil sein müssen
von KD IV/4 – die Lehre des Gebotes Gottes, des Versöhners. Das Gebet
ist keine Anrufung oder Beschwörung des fernen Gottes, sondern die
Annäherung des in Christus sich genährten Gottes.
In der Artikelreihe zu Bonhoeffer befinden sich zwei relativ rezente
Beiträge, die noch nicht eher publiziert wurden. Dieses betrifft eine Er-
örterung der Rede, die Bonhoeffer 1934 in Fanø vor der Versammlung
des Weltkirchenrates in Gründung gehalten hat (2004), sowie eine Er-
läuterung von Bonhoeffers Gottesbegriff aus 2006. Dazwischen befin-
det sich noch ein Artikel der nicht näher im Anhang verantwortet wird,
der also vermutlich speziell für diesen Sammelband verfasst worden ist.
Im Hinblick auf die Zitate ist es ein junger Artikel (in jedem Fall nach
2005): „Freies Wagnis und Schuld. Dietrich Bonhoeffers Verständnis
seines Widerstandes“ (423-435). Er ist wahrscheinlich geschrieben als
Gegenbild zum Bericht über Theologie und Widerstand bei Karl Barth.
Es geht hier vor allem um Bonhoeffers Verständnis der fünften These.
Er hört das Sprechen über die eigene Verantwortung, jedoch will er dies
nicht in Abzug bringen an den göttlichen Auftrag an die Obrigkeit, um
für Recht und Frieden zu sorgen und hierzu – wo nötig – auch Gewalt
zu gebrauchen. Es fällt nicht dem Menschen zu um festzustellen, ob dies
wohl für die eine – ihm wohlgesinnte – Obrigkeit gilt, jedoch für die
andere – ihm nicht wohlgesinnte – Obrigkeit nicht. Es kann die eige-
ne Verantwortlichkeit, ja sogar jemandes Pflicht sein um Widerstand zu
leisten, auch wenn man dafür göttliche Gebote, ja sogar das „du sollst
nicht töten“ brechen muss. Man kann jedoch nicht schon im Voraus
von Rechtfertigung ausgehen. Man muss diese freie und befreiende Tat
wagen, bereit sein um die Folgen – auch die allerschwersten – zu tragen,
sich selbst schuldig zu machen und diese Schuld zu tragen in der Hoff-
nung auf Vergebung. Man wagt nicht etwas willkürliches, sondern die
„rechte“ Tat. Was das Rechte, das Gute ist „das dringt sich auf an den
Menschen, der lebt aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi für
alle Leidenden, der teilbekommen hat an der Weite des Herzen Christi“.
Sie hören es, es handelt sich hier nicht nur um eine ethische Abwägung
der Frage, wann Widerstand gerechtfertigt ist, sondern um Bonhoeffers
Rechenschaft seiner eigenen Wahl.
Ist eine christozentrische Theologie in unserer Zeit noch mög-
lich? Ja, sagt Krötke, und ich spreche ihm nach: diese christozentri-
sche Theologie, die aus den Barmer Thesen von Karl Barth entwickelt
wurde und woraus Dietrich Bonhoeffer die zu dem Zeitpunkt nöti-gen Schlussfolgerungen zog. Die Juden und das Alte Testament hätten in den Barmer Thesen nicht fehlen dürfen, das will jedoch nicht
sagen, dass man aufgrund der christologischen Konzentration Bar-
mens nicht doch hätte kommen können zum Einsatz für die Juden
und einer Verteidigung des Alten Testaments. Das Buch Krötkes ist
mehr als lesenswert, auch wenn es nur dazu wäre uns als Lehrlinge
Barths en Bonhoeffers erneut zu fragen: kann es noch auf diese Weise?
Wilken Veen

 

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